Routine? Nein! … Unser Bericht zum 12. Hilfstransport
Schon zum dritten Mal führt uns ein Hilfstransport nicht nur zur Grenze, sondern in die Ukraine. Alles schon Routine?
Ganz und gar nicht. Seit Wochen treffen heftige Raketenangriff das gesamte Land, um die Infrastruktur zu zerstören. Ja, diesmal ist ein besonders mulmiges Gefühl mitgefahren.
Den Bus vollgepackt mit Hilfsgütern machten sich Christian, Dirk und Larisa am Freitag, den 25. November auf den Weg.
Igor und Roman
Erstes Ziel in der Ukraine war Lwiw. Schon auf dem Weg dorthin sahen sie ersten die Schäden, die russische Raketen in den letzten Wochen angerichtet hatten: Beschädigte Strommasten und Umspannwerke.
In Lwiw trafen sie Igor und Roman. Die beiden fahren regelmäßig zur Front, um vor allem Ärzte und Sanitäter zu beliefern. Wir kennen sie von der letzten Tour: Sie hatten Larisa mit zur Front genommen, wo sie ihren Bruder getroffen hatte. Unser Team hat den beiden viele Hilfsgüter übergeben, die in Frontnähe dringend gebraucht werden: 40 Feuerwehrhelme, 140 Verbandskästen, 3 große Kartons Winterkleidung und ein Stromaggregat.
Igor und Roman haben von den schrecklichen Verhältnissen im Osten der Ukraine berichtet. Richtig unter die Haut gingen ein paar Videos, die sie kürzlich in Bachmut aufgenommen hatten: Die halbe Stadt ist zerstört. Andere Fotos und Videos zeigen Ortschaften, in denen praktisch alle Gebäude zerstört sind. Es ist kaum zu glauben: Dort leben noch Menschen, die in den Kellern ausharren.
Olga und Oleg
Gespenstisch war dann die Weiterfahrt nach Kamjanez-Podilskyj: Im Dunkeln und bei Nebel fuhr unser Team durch viele kleine Dörfer, die teilweise komplett im Dunkeln waren. Kein Licht, kein Strom. Am Ende wurde es richtig knapp, denn ab 22 Uhr ist strikte Ausgangssperre. Telefonisch wurden sie von Olga auf den letzten Kilometern durch die Stadt gelotst, weil die Navigation am Smartphone nicht funktionierte. Gerade mal drei Minuten vor der Ausgangssperre kamen sie an! Hektisch haben Oleg und Olga hinter ihnen das Hoftor geschlossen und unsere drei Freunde eilig ins Haus gebracht.
Erst dort fiel die Anspannung ab, die Freude über das Wiedersehen war bei allen groß. Olga und Oleg hatten ein leckeres und reichhaltiges Abendessen vorbereitet, es wurde ein gemütlicher Abend.
Bürgermeister
Am Sonntag wurde es offiziell: Um 10 Uhr waren sie im Rathaus von Kamjanez-Podilskyj eingeladen. Überrascht waren sie davon, dass das Rathaus vom Militär bewacht wird. Der Krieg ist überall spürbar.
Bürgermeister Michaylo Positko überreichte Christian und Dirk als Stellvertreter von brkhilft eine offizielle Urkunde der Stadt, die sonst nur Wissenschaftler oder prominente Gäste erhalten. Er sprach seinen Dank aus für unsere große Hilfe und Unterstützung — im Namen der Stadt und für die gesamte Ukraine.
Mit Oleg im Krankenhaus
Anschließend fuhren sie mit Oberarzt Oleg zum Krankenhaus und luden Hilfsgüter aus. Sie trafen auch auf andere Ärzte, die alle ihre Dankbarkeit ausdrückten. Oleg zeigte ihnen alles, was wir beim letzten Transport geliefert hatten. Die neuen Betten sind schon alle belegt.
Es sind krasse Zustände im Krankenhaus. Besonders schockiert waren Christian und Dirk von den uralten Zimmern. Das Krankenhaus hat alte, seit Jahrzehnten leerstehende Gebäudetrakte wieder in Betrieb genommen, um die vielen Patienten unterzubringen. Freiwillige Helfer gäbe es genug, um hier zu renovieren, doch es fehlt am Material. Hier wollen wir unterstützen.
Nach dem Besuch im Krankenhaus mussten sie wegen Luftalarm den Schutzbunker von Oleg aufsuchen.
Dirks Bericht
Über den Montag berichtet Dirk Stumpe:
Am Montag morgen organisierte die liebe Olga Brunko einige Treffen, die uns im Rückblick emotional einiges abverlangten. Es sind immer die Geschichten hinter den traurigen Schicksalen, die uns sehr berühren. Da waren zum Beispiel die beiden Geschwister aus dem hart vom Krieg getroffenen Charkiw, die wir in ihrer provisorischen Unterkunft besuchten. Beide haben uns aus Dankbarkeit Bilder gemalt und bei unserem Treffen überreicht. Und hierbei stockte uns teilweise der Atem, als unsere liebe Larisa die Worte des kleinen Jungen übersetzte.
Er malte eine für diesen schrecklichen Krieg sinnbildliche Situation. Er erzählt uns, dass plötzlich dunkle Gestalten in der Ukraine aufgetaucht sind, die Menschen einsperren oder entführen wollen, aber das gesamte Volk stellt sich schützend vor alle, die sich nicht wehren können. Es ist sinnbildlich für lebendige „Barriere“, die aus über 1,5 Millionen Verteidigern besteht, die sich den Angreifern mutig entgegen stellen. Alleine die Tatsache, dass so eine kleine, unschuldige Seele solche Gedanken verarbeiten muss, gibt uns allen nur ansatzweise einen Eindruck davon, wie es in den Herzen vieler ukrainischer Kinder aktuell aussieht.
Umso ermutigender ist es, wenn wir erleben dürfen, dass durch eine kleine Geste, ein winziges Präsent, ein Lächeln und eine kurze Umarmung plötzlich die finsteren Blicke aus den Gesichtern der Kinder verschwinden und sie für einen Augenblick Licht in sich spüren dürfen. Und mit jedem Kinderlachen merken wir, dass auch die jeweiligen Mütter für einen Augenblick entspannt und glücklich sind.
Etwas anders gestaltet sich die Situation in einem Internat, welches wir besuchen durften. Gewöhnlich sind dort etwa 150 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren und durchlaufen dort ihre zehnjährige Schulzeit. Wegen des Krieges wohnen im Internat aktuell 320 Kinder. Das traurige… sehr viele von ihnen haben ihre Eltern durch Kriegshandlungen verloren. Und ich möchte ganz ehrlich sein. Beim Blick in die leeren Augen mancher Kinder war uns sofort klar, welche schrecklichen Erlebnisse einige von ihnen machen mussten.
Wir waren dank der Unterstützung vieler Spenderinnen und Spender sehr gut vorbereitet. Wir hatten für jedes einzelne Kind Muffins und Plätzchen dabei, die von Manuela Word und Nicole Schumacher gespendet wurden. Außerdem viele viele Plüschbären vom Dorint Resort & Spa Bad Brückenau und ebenfalls für jedes Kind eine gepackte Weihnachtstüte mit tollem Inhalt.
In einer Aula der Schule kamen in verschiedenen Etappen nacheinander alle Kinder und Jugendliche herein, der Direktor und wir durften ein paar Worte an alle richten, und dann übergaben Christian, Larisa und ich die 320 Geschenke. Die Kinder bedankten sich alle herzlich, und uns ging das Herz auf, denn da war es wieder. Dieses ehrliche Kinderlachen, die strahlenden Augen und auch die glücklichen Blicke der Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Klassen begleiteten.
Nachdem wir alle Geschenke verteilt hatten, lud uns der Direktor noch zu einem Tee in sein Büro ein. Hier durften wir etwas erleben, das aus unserer Sicht eine tolle Routine der Schule ist. Urplötzlich ertönte in den Gängen der Schule laute Musik, die Türen der Klassenzimmer gingen auf, und alle Schüler kamen heraus, bewegten sich, viele tanzten eine kurze Zeit, und nachdem die Musik kurze Zeit später aus war, ging der Unterricht weiter. Dies passiert alle 25 Minuten, damit der Alltag etwas aufgelockert wird und die Lernfähigkeit gesteigert wird.
Als wir schon abfahren wollten, kamen 3 Teenies auf den Schulhof gerannt, sie hatten auch ein Bild gemalt, ein Herz mit einer deutschen und einer ukrainischen Fahne. Dieses Bild übergaben sie an Christian und sie baten mich darum, ob ich ein Foto mit ihnen machen würde. Natürlich machte ich das und ich spürte, wie stolz es die Mädels machte. Ein paar Stunden später erreichte mich eine liebe Nachricht auf Instagram. Darin bedanken sich die 3 Schülerinnen für unseren Besuch und die Geschenke. Eine wunderschöne Geste und für unser Team wieder eine große Motivation, immer weiter zu machen, denn es fühlt sich einfach richtig gut an.
Diesen kurzen Einblick in den zweiten Tag unserer 12. Hilfsmission möchte ich mit einem Zitat von John F. Kennedy beenden, der mir durch Zufall kürzlich in einem Buch aufgefallen ist:
Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende bereiten, oder der Krieg bereitet der Menschheit ein Ende.
Rückreise und Isabel
Am Montag Nachmittag haben Dirk und Christian die Heimreise angetreten. Sie haben noch eine Mitfahrerin in Przemysl mitgenommen:
Isabel kommt aus Australien und hat einige Jahre für eine Weltreise gespart. Im März startete sie mit einem Besuch bei Verwandten in Deutschland. Von den Ereignissen in der Ukraine ergriffen, hat sie sich entschieden, ein paar Wochen zu helfen. Aus diesen paar Wochen sind nun 9 Monate geworden. In dieser Zeit hat sie ungefähr 3,5 Monate in verschiedenen Abständen und unterschiedlicher Dauer bei einer Hilfsorganisation aus England geholfen, war in Przemysl, aber auch in der Ukraine in Sachen humanitärer Hilfe unterwegs.
Dirk und Christian nehmen sie mit nach Fulda zum Bahnhof. Von dort fährt sie nach Frankfurt, um nochmals kurz ihre Verwandte zu besuchen. Anschließend geht es zurück nach Australien. Eine unglaublich nette junge Frau mit viel Charisma und dem Herz am richtigen Fleck.
Larisa
Larisa ist noch in der Ukraine geblieben. Sie konnte ihre Pläne umsetzen und ist inzwischen im Osten des Landes an der Front angekommen. Dort berichtet sie von schrecklichen Zuständen: Alle 20 Sekunden hört man Schüsse von schweren Waffen. Die Häuser und die Infrastruktur sind zerstört. Dennoch wohnen hier noch Menschen, unter widrigsten Bedingungen. Sie schreibt, sie wünscht niemandem, so leben zu müssen. Und immer wieder hört sie unbeschreibliche Geschichten über die mutigen Soldaten, die hier stehen und kämpfen.
Larisa wird noch ein paar Tage an der Front bleiben und dann ebenfalls zurückreisen.
Ausblick
Der Winter ist für viele Menschen in der Ukraine eine große Herausforderung und Gefahr — gerade wegen der starken Schäden an der Energie-Infrastruktur. Hier zu helfen, wird ein Schwerpunkt unserer Hilfe in den nächsten Wochen sein. Wir werden Euch sowohl hier als über über Facebook informiert halten.