Bericht zur 9. Mission, Teil 3 (letzter Teil): Kamjanez-Podilskyj


Wie du im letzten Teil schon erfahren hast, waren Christian Wirth und ich zusammen mit der Ukrainerin Anastasiia am Sonntag früh morgens nach Lwiw gereist. Nachdem wir Nastiia verabschiedet hatten, da sie weiter nach Riwne gefahren ist, waren Christian und ich nun am Montag früh auf der Straße in Richtung Kamjanez-Podilskyj, etwa 400 Kilometer südöstlich von Lwiw.

Ein mulmiges Gefühl hatten wir schon, da wir nun nicht nur auf uns gestellt waren. Uns war auch bewusst, dass es nun in Gebiete ging, die schon Ziele waren von Angriffen durch Raketen. Zunächst wunderten wir uns etwas, dass die als Schnellstraße bezeichnete Verbindung lediglich 2 Fahrspuren hat, also nichts anderes als eine etwas breitere Landstraße. Das Bewusstsein, dass es anscheinend nicht alltäglich ist, dass deutsche Fahrzeuge derzeit diese Strecke passierten, merkten wir auch ziemlich bald. Auf dem gesamten Weg sahen wir kein einziges ausländisches Kennzeichen. Dieser Umstand sorgte in unseren Köpfen nicht unbedingt für eine bessere Stimmung in Bezug auf unsere Sicherheit.


An den langen Straßen gab es erstaunlich viele Tankstellen, jedoch genauso erstaunlich wenig Sprit. Fast bei jeder Tankstelle waren die meisten Sorten nicht mehr verfügbar. Wir versuchten dennoch unser Glück, als wir sahen, dass die Anzeigetafel alle Sorten anzeigte. Wir wussten, dass die Abgabemenge auf 15 Liter pro Tankvorgang rationiert ist, vor ein paar Wochen waren es sogar nur 5 Liter. Da uns bei der Zapfsäule völlig unklar war, welche der Sorten nun Diesel ist, schnappte ich meine Übersetzungsapp und marschierte zum Tankwart. Der freundliche Herr zeigte mir das passende Symbol und fragte, woher wir kommen. Als ich ihm antwortete, dass wir aus Deutschland kommen, strahlte er und sagte direkt „Guten Tag“. Er freute sich so sehr, dass er uns erlaubte, den Tank komplett voll zu machen, was für uns natürlich eine riesen Überraschung war. Nach einer kurzen Pause gings dann weiter.


Am Ortsrand von Kamjanez-Podilskyj wartete Olga Brunko auf uns, die Frau von Oleg, seines Zeichens medizinischer Leiter einer Unfallklinik im Ort. Von Olga und ihrem Mann waren wir eingeladen worden, ihre Gäste in ihrem Haus zu sein für die kommende Nacht. Sie fuhr zunächst vor uns her, bis wir an der großen Klinik von Kamjanez-Podilskyj ankamen. Dort empfingen uns Oleg sowie die Direktorin der Klinik. Hier hin hatten wir schon mehrere Male Hilfsgüter aus Deutschland über Polen und das Team in Lwiw geliefert. Das Highlight war bisher ein Ultraschall-Untersuchungsgerät, welches dort ständig im Einsatz ist.

Noch bevor wir unsere mitgebrachten Hilfsgüter aus dem Bus laden konnten, überraschte uns die Direktorin mit Urkunden, die sie an Christian und mich überreichte, symbolisch natürlich für die große Hilfe unseres gesamten Vereins zur Unterstützung des Krankenhauses. Anschließend luden wir viele Pakete mit Medikamenten, Infusionen, Verbandsmaterial, OP-Artikeln usw. aus. Danach führte uns Oleg durch seine Klinik, erstmal durch den Neubau, sein ganzer Stolz. Und immer wieder zeigte er uns in Untersuchungsräumen oder Behandlungszimmern Geräte und Hilfsmittel, die aus Bad Brückenau den Weg in die Ukraine gefunden haben.


Sehr bewegend war die weitere Besichtigung der Klinik. Uns stockte teilweise der Atem wegen dem, was wir sahen, aber auch wegen den Geschichten hinter den Bildern. Das Krankenhaus empfängt aktuell täglich ca. 50 verwundete Soldaten und zivile Personen. Täglich! Und es ist wirklich jede Art von Verletzung dabei. In seiner sehr offenen Art führte uns Chefarzt Oleg auch auf Stationen und zeigte uns einige Krankenzimmer. Ein Anblick, den wir jedem ersparen wollen, auch uns. Wir teilten ihm auch direkt mit, dass wir bitte keine weiteren Patienten mehr anschauen wollen.

Wir lernten die Chefärzte sämtlicher Stationen kennen, die uns mitteilten, was sie derzeit leisten müssen und mit welcher Ausstattung sie das teilweise tun. Ein junger Unfallchirurg war sichtlich mitgenommen von der schlimmen Situation vor Ort. Er zeigte uns Operationswerkzeug, welches dringend benötigt wird, aber derzeit einfach die Möglichkeit fehlt, dies zu bekommen. Für das Überleben der schwer verletzten Menschen allerdings wirklich absolut notwendig.


Ein weiteres Manko sahen wir im nächsten Gebäude, welches schon seit den 80er Jahren leer stand. Es wurde notdürftig wieder in Betrieb genommen, in Windeseile Fenster und Türen eingebaut und uralte Betten und Möbel in die Patientenzimmer gestellt. Hier ist tatsächlich der größte Notstand, und deshalb haben wir auch vor Ort direkt gesagt, dass wir uns um vernünftige Betten kümmern wollen. Wir wurden dann herzlich verabschiedet und fuhren mit Olga weiter zum Privathaus der beiden.

Dort angekommen entluden wir zunächst viele Pakete mit Lebensmitteln für die aus den Kampfgebieten der Ukraine geflüchteten Menschen, die wir anschließend auch teilweise kennenlernen durften. Olga fuhr mit uns durch die Stadt, und wir besuchten verschiedene Hostels, in denen aktuell pro Hostel ca. 50 Personen wohnen. In den Gängen, im Foyer oder im Speisesaal, überall notdürftige Liegen. Hier konnten wir uns mit den Menschen austauschen und einige unserer mitgebrachten Lebensmittel und Hygieneartikel übergeben. Wie immer waren wir von dieser wirklich herzlichen Dankbarkeit zutiefst berührt.


Nächste Station war eine militärische Einrichtung, deren Ort ich nicht näher beschreiben möchte. An die Leiterin des dortigen Militärkrankenhauses wollten wir ebenfalls einige Hilfsgüter übergeben. Wir warteten vor dem streng bewachten Tor auf die junge Ärztin. Als sie kam und wir gerade ein Foto machten und anschließend unsere Hilfsgüter übergeben wollten, war plötzlich eine merkwürdige Stimmung um uns herum. Alle starrten auf ihre Smartphones, und plötzlich registrierten wir es auch.


Raketenalarm – und wir standen direkt vor einer militärischen Einrichtung, dem Hauptangriffsziel. Es überschlugen sich nun hektisch die Ereignisse. Hunderte Soldaten rannten aus der Kaserne, um sich vor der drohenden Gefahr in Sicherheit zu bringen. Olga schickte uns ins Auto, und wir rasten durch die Straßen bis zu ihrem privaten Wohnhaus. Dort angekommen öffnete sie ein großes Stahltor des Hauses, von dort aus ging es hinunter in den sicheren Schutzbunker. Chefarzt Oleg war auch da und beruhigte uns erstmal. Die Wände bestehen aus meterdickem Beton, Stahl und Blei. Uns könne hier nichts passieren. Zur Beruhigung gab es dann einen selbstgemachten Cognac.

Wir erfuhren erst später, dass in dieser Situation vier Langstreckenraketen in diese Region unterwegs waren, aber von der Luftabwehr rechtzeitig zerstört wurden. Eine grauenhafte Vorstellung, jeden Tag in einer solchen Angst leben zu müssen.


Olga und Oleg organisierten an diesem Tag noch eine kleine Stadtführung für uns durch den historischen Teil von Kamjanez-Podilskyj. Eine Deutschlehrerin, die auch Geschichte unterrichtet, zeigte uns viele historische Gebäude und Orte und erzählte uns die Geschichte dazu. Sehr lehrreich, auch in Bezug auf die Historie der Ukraine. Am Abend wurde groß aufgetischt bei unseren Gastgebern, die auch ihre Nachbarn einluden, um uns kennenzulernen. Alles großartige Menschen, wie zum Beispiel die junge Ärztin Valerija Kosova, die mit ihrem Mann und der kleinen Tochter aus dem stark umkämpften Kharkiw geflohen ist und derzeit bei den Nachbarn von Oleg wohnt.


Kleiner Fakt am Rande: Im Westen der Ukraine wohnt derzeit bei jeder Familie mindestens eine weitere Familie aus den Kampfgebieten im Osten, meistens sogar zwei oder drei Familien. Der Zusammenhalt ist wirklich überall spürbar. Genauso wie die Dankbarkeit aller Menschen für unsere Hilfe. 

Um dir die Dankbarkeit einmal ganz deutlich zu veranschaulichen, möchte ich hier den Text hinein kopieren, den wir am Tag unserer Rückfahrt von Olga erhalten haben:

„Guten Abend!
Wir haben die besten Erfahrungen damit gemacht, intelligente Menschen mit Sinn für Humor zu treffen und mit ihnen zu kommunizieren. Du hast uns einen Licht- und Wärmestrahl gebracht und für einen Moment die schweren Alltagsprobleme des Krieges beseitigt.
Sie haben Frieden gebracht, da es in zwei Tagen nur eine Sirene gab (in den letzten zwei Monaten gab es so etwas nicht, da es Tag und Nacht periodisch Sirenen gab und das Dröhnen von Raketen und Kampfflugzeugen über uns).
Wir sind sehr dankbar für Ihre Hilfe und Menschlichkeit. Ihnen gebührt großer Dank und Respekt. Wir umarmen und küssen dich wie neue deutsche Freunde.
Mit freundlichen Grüßen Olga, Oleg.“

Mit diesen schönen, warmen und herzlichen Worten in unseren Köpfen fuhren wir am Dienstag zurück nach Lwiw. Aus Sicherheitsgründen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, wählten wir einen anderen Rückweg nach Lwiw. Unterwegs wurden wir sogar ein Stück von einem Militärfahrzeug begleitet, das uns eskortierte. In Lwiw trafen wir uns nochmal zum Mittagessen mit Oleg Pryshlyak, Oleg und Christina und besprachen unsere zukünftigen Missionen.


Das fleißige Team in Lwiw unterstützt gerade die Einrichtung von Schulen in westlichen Gebieten der Ukraine, die uns auch persönlich bekannt sind, welche wir jedoch aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen werden. Hier unterstützen wir mit jeder Menge Schulmöbel, die wir bereits organisiert haben.

Die Klinik in Kamjanez-Podilskyj erhält von uns mindestens 25 moderne Krankenhausbetten, Nachttische, sowie einiges OP-Werkzeug, Medikamente und viele weitere Hilfsgüter.

Ich freue mich sehr, dass du bei diesem sehr umfangreichen Bericht bis zum Ende dabei warst. Christian und ich wollen in der nächsten Zeit auch gerne mal öffentlich über unsere Hilfsmissionen sprechen und einige Bilder und Videos hierzu zeigen. Mit dabei sein wird auch das gesamte Team von brkhilft, welches in den letzten Monaten einige wirklich große Dinge bewegt hat. Ich halte dich auf dem laufenden und freue mich schon auf viele Rückmeldungen zu unseren Berichten. Frag uns auch gerne persönlich.

Manchmal liegt es nicht in unserer Macht, einen wirklich geliebten Menschen von einer auf die andere Minute loslassen zu müssen. Auch die richtigen Worte des Abschieds sind uns nicht vergönnt. Deshalb ist es mir sehr wichtig, immer in Frieden und Freundschaft mit jedem meiner Mitmenschen auseinander zu gehen. Auch wenn es einmal stürmisch wird.

Vielen herzlichen Dank für deine Wertschätzung und deine Unterstützung für unsere Hilfe für die Ukraine. Wir helfen weiter!

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