Hilfe an Ostern: unser fünfter Transport

Ein frisch gebackener Opa, polnisch-chinesisch-französisch-kandisch-amerikanisch-ukrainisch-deutsche Freundschaft, dynamische Entwicklungen und ein Stau in die vermeintlich falsche Richtung – das alles in meinem neuen Bericht zu unserer Ostermission zur ukrainischen Grenze.

Ein Osterfest der ganz besonderen Art erlebte unser Team, bestehend aus 11 Helferinnen und Helfern, am vergangenen Wochenende. Bei herrlichem Sonnenschein verließen wir am Karfreitag pünktlich um 9 Uhr Bad Brückenau und reisten in Richtung Polen, unser „Crew-Hotel“ im 1.100 Kilometer entfernten polnischen Machowa war bereits für ca. 23 Uhr gebucht. Der Feiertagsverkehr in Deutschland war recht entspannt, es lief flüssig. Je weiter wir dann nach Polen fuhren, desto voller wurden die Straßen – und irgendwann ging nichts mehr und wir standen lange Zeit im Stau. Unsere vorab eingeplante längere Pause für ein Abendessen fiel aus, wir stoppten an einer polnische Autobahnraststätte und fuhren dann zügig weiter.

Um etwa 1 Uhr in Machowa angekommen, empfing uns Karol, der Chef des Hotel Sezam, wie immer sehr freundlich. Eigentlich hatte er sein Hotel an diesem Wochenende geschlossen, aber er öffnete es extra für uns, und am nächsten Morgen gab es sogar ein reichhaltiges Frühstück. Um 8 Uhr startete unser Hilfskonvoi nach Przemysl, dort standen zwei kleine Lkw bereit, in die wir bei strömenden Regen unsere auf vier Fahrzeuge verteilten Hilfsgüter verluden. Das lief alles wie am Schnürchen, dank eines wahnsinnig motivierten Teams.

Die beiden ukrainischen Fahrer bedankten sich vor ihrer Fahrt sehr herzlich im Namen ihres Volkes und erklärten uns, wie wichtig diese Hilfe ist und dass auch alle Waren dringend gebraucht werden. Einige Städte der Ukraine sind versorgungstechnisch von der Außenwelt abgeschlossen, es gibt keinerlei Infrastruktur mehr, keinen Strom, keine Heizung, kein Leitungswasser. In diese Orte fahren einige unerschrockene freiwillige Helfer, um die Mitmenschen mit Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern zu versorgen.

Unser Plan für diesen Tag war es, am Grenzübergang Medyka einen Versorgungsstand für die ankommenden Menschen aufzubauen, um diese mit Essen, Getränken und Hygieneprodukten zu versorgen und unsere über 300 gepackten Kinderrucksäcke direkt zu verteilen. Doch es kam ganz anders. Die Situation vor Ort entwickelt sich wahnsinnig dynamisch.

Beim Ankunftszentrum im grenznahen Przemysl trafen wir Michel, den Chef-Koordinator für Deutschland. Er betreut die ukrainischen Menschen, die eine Weiterreise nach Deutschland planen und organisiert mit seinem Team freie Plätze für die Fahrten bei Hilfsorganisationen (dazu gleich mehr) und Freiwilligen. Nach einem Covid-Test der Fahrer und der Anmeldung per Personalausweis, Führerschein und Kfz-Kennzeichen noch ein kurzes Gespräch mit Michel, wir machten mit ihm aus, dass wir um 18 Uhr wieder in Richtung Deutschland aufbrechen und 7 Sitzplätze für die Rückfahrt anbieten können. Dann ging es weiter zum etwa 10 Kilometer entfernten Grenzübergang Medyka, an dem wir vor zwei Wochen schon waren und uns die Menschenmassen bewegten, die aus der Ukraine zu Fuß nach Polen einreisten.

Kurz nach dem Ortsausgang von Przemysl war dann erstmal Ende. Wir standen in einem kilometerlangen Stau auf einer vierspurigen Straße in Richtung der ukrainischen Grenze. Vor allem Lkw mit Hilfsgütern stauen sich für die Zollabfertigung, aber auch tausende Menschen in Pkw und Bussen, die wieder in ihre Heimat reisen wollen.

Völliges Chaos, überforderte Polizisten, hupende Autos, Rettungswagen, die kaum durchkommen, viele Frauen, die aus den Fahrzeugen aussteigen und mit ihren Koffern bepackt zu Fuß losmarschieren. Ein absolut krasses Bild einer für unsere Vorstellungen verkehrten Welt. Die Lösung der Situation war pragmatisch, jedoch mit teilweise noch größerem Chaos verbunden. Aus den beiden Spuren in Richtung Ausreise wurden nun drei, und selbst die Gegenfahrbahn der Autobahn in Richtung Polen wurde zusätzlich mit zwei Spuren in die Gegenrichtung genutzt – legale Geisterfahrer. Eigentlich sollten diese beiden Spuren für Hilfsorganisationen sein, die zur Fußgängergrenze fahren wollten, damit diese nicht in einem kilometerlangen Stau stehen, jedoch ordneten sich dann plötzlich alle auf diesen Fahrspuren ein, und das machte das Chaos noch größer.

Mit über zwei Stunden Verspätung erreichten wir dann das Zwischenziel, den Grenzübergang, an dem die Menschen zu Fuß aus- und einreisen. Irgendwas war anders, es war verdächtig ruhig. Keine Hektik, keine Busse, kaum ankommende Menschen. Als wir dann das Tor erreichten, welches die Ukraine und Polen begrenzt, erkannten wir den Grund hierfür: Hunderte Menschen warteten am Zoll zur Ausreise in die Ukraine – alle wollen wieder in ihre Heimat. Es kamen kaum Menschen an der Grenze an, die nach Polen einreisen. Nun brauchten wir einen Plan B, denn unsere 300 belegten Brötchen, das Obst, der Kuchen, die Muffins, die vielen Getränke, die gepackten Turnbeutel für die Kinder – keine Chance, diese zu verteilen.

Wir übergaben dann alle frischen Lebensmittel an ein Helferteam aus Frankreich, das mit seinem Zelt dort fest stationiert ist. Außerdem einige Muffins und ein paar gepackte Turnbeutel an freundliche Chinesen, die uns anschließend zu einem Kaffee einluden und ein Interview mit uns führten. In deren Zelt wurden seit Kriegsbeginn bereits über 10.000 Menschen geholfen, großartige Leistung!

Dirk nahm telefonisch Kontakt zum Koordinator Michel auf und erklärte unsere Situation. Plan B war es nun, die Turnbeutel und alle restlichen Lebensmittel im Ankunftszentrum in Przemysl an die Kinder dort zu verteilen. Also starteten wir wieder mit unserem Konvoi und fuhren nach Przemysl. Michel hatte bereits einige Helferinnen und Helfer zum Entladen der Sachen organisiert, ein Team der US-Army und ein paar Helfer der kanadischen Armee. Da in das Ankunftszemtrum inzwischen keine Freiwilligen mehr hinein dürfen (richtig so!), konnten wir leider unsere Taschen nicht persönlich an die Kinder übergeben. Jedoch kam schon nach einer halben Stunde eine rührende Sprachnachricht von Michel, dass bereits die Hälfte der Taschen an Kinder verteilt wurden und für strahlende Kinderaugen gesorgt haben. Das war ein fantastisches Gefühl für uns alle.

Pünktlich um 18 Uhr stand dann ein Volunteer mit unseren 6 Gästen für die Heimreise an den Fahrzeugen. Das Gepäck wurde verladen, unsere Dolmetscherin Larisa erklärte den Ablauf und schon ging es los in Richtung Deutschland. Gegen 24 Uhr erreichten wir im polischen Opole unser Hotel, dort übernachteten wir alle bis 7 Uhr und setzten dann nach einem Frühstück die Heimreise fort. Nach einer kurzen Tankpause und Abschiedsfoto teilten wir uns dann auf: Die beiden Frauen mit ihren Kindern fuhr unser Team zum Bamberger Bahnhof, und die beiden Herren zum Bahnhof nach Dresden, von dort aus fuhren dann alle weiter zu ihren Zielen.

Der ältere Mann ist ganz frisch gebackener Opa und durfte ein paar Stunden später bei seiner Familie in Berlin seinen Enkel zum ersten Mal sehen, toll!

Auch wenn bei dieser Fahrt einiges nicht so gelaufen ist, wie wir es geplant hatten – wir sind sehr zufrieden und machen definitiv weiter. Unsere Planungen sind bereits in vollem Gange. Wir planen einen großen Lebensmittel-Transport für die Ukraine – Konserven und haltbare Fertiggerichte.

Ich möchte mich bei allen Spenderinnen und Spendern bedanken, für alle Sach- und Geldspenden, für die kostenlos zur Verfügung gestellten Fahrzeuge und die Bereitschaft, uns auch weiterhin zu unterstützen. Nur gemeinsam schaffen wir das und jeder kann seinen Beitrag dazu leisten. Danke!

Ein ganz besonderes Dankeschön an die Bad Kissingerin Larisa Kisliak, die uns als Dolmetscherin unterstützt hat und neben ihrer Muttersprache ukrainisch, auch noch deutsch, englisch, russisch und polnisch spricht – und außerdem Ärztin ist. Für uns wie ein Sechser im Lotto und eine große Ehre, sie in unserem Team zu haben.

Das Leben wirft uns jeden Tag eine Münze – Kopf oder Zahl – wir dürfen wählen. Nur unsere persönliche Einstellung entscheidet, welchen Wert wir „Kopf“ und „Zahl“ beimessen und was wir anschließend daraus machen. Auch bei unserem mittlerweile fünften Einsatz hat sich unser gesamtes Team auf jede neue Situation spontan eingestellt und eine schnelle, gute Lösung gefunden. Mit der positiven Einstellung jedes Einzelnen haben wir in diesen wenigen Stunden unglaublich viel leisten können. Die vielen positiven Rückmeldungen und bewegenden Geschichten sind es, die uns immer weiter machen lassen. Wir sind alle weiterhin hoch motiviert und planen unsere nächste Fahrt bereits am 29. April.

Inzwischen kommt die Meldung in unserem Netzwerk, dass einige Raketen in Lwiw (80 Kilometer von der Grenze) eingeschlagen sind und in 3 Stunden eine riesige Welle an flüchtenden Menschen in Medyka erwartet wird. Unsere Gedanken sind bei allen Menschen, die am Wochenende in Richtung Lwiw aufgebrochen sind, weil sie zurück in ihre Heimat wollten.

Wir kommen wieder und helfen weiter!

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